Im Rahmen des Storytales Geschichtenfestival veranstalteten wir ein Gespräch mit Alexandra Koch, Buchbloggerin @readpackblog zum Thema inklusive Kinder- und Jugendbücher.
Kinder und Jugendliche mit Behinderung kommen nach wie vor wenig in Kinder- und Jugendbüchern vor. Und wenn, dann häufig so, dass die Behinderung als etwas Negatives im Mittelpunkt steht und dass die Kinder meist bemitleidenswert und passiv dargestellt werden. Häufig sind die Bücher auch nicht aus der Perspektive der Menschen mit Behinderung geschrieben.
Alexandra Koch |
Alexandra Koch betreibt seit 2013 einen reichweitenstarken Literaturblog, readpack.de, auf dem sie ein breites Spektrum der Gegenwartsliteratur bespricht. Auf ihrem Blog und Instagram-Kanal schreibt sie unter anderem über alltägliche #Behindernisse und analysiert Bücher auf die klischeehafte und diskriminierende Darstellung von Menschen mit Behinderungen. Sie engagiert sich deshalb auch für Sensitivity-Reading.de. Neben Inklusion ist ihr besonders intersektionaler Feminismus ein Anliegen. |
Literaturliste
Alexandra Koch zeigte uns an vielen Beispielen, was ein gutes inklusives Kinder- und Jugendbuch ausmacht, welche Kriterien wirklich wichtig sind und worauf wir achten können. Sie stellte gute und kritikwürdige Kinderbücher vor und erzählte aus ihrer persönlichen Perspektive, wie wichtig die Darstellung inklusiver Themen in Kinderbüchern ist.
Bücher für die ganz Kleinen |
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„Alles rollt, mein Buch der Fahrzeuge“ von Max Fiedler, ab 2 Jahren, Penguin Junior Zwei wunderschöne detailreiche Bilderbücher, die „ganz nebenbei“ inklusiv sind. Figuren mit Rollstühlen sind in alltäglichen Situationen zu sehen. Interview zu „Antonia war schon mal da“ auf meinem Blog HIER |
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"Ein Hund namens Drei“ von Michael Stephen King, übersetzt Bernd Stratthaus, 4-6 Jahre, Annette Betz Verlag Eine süße Geschichte über einen kleinen dreibeinigen Hund auf der Suche nach einem Zuhause. Unterwegs trifft er Lebewesen mit zwei, vier, sechs und acht Beinen, stellt aber fest, dass er genau so richtig ist |
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"Anna und Otis“ von Maisie Shearring, übersetzt Maren Illinger, 4-6 Jahre, Beltz & Gelberg Bilderbuch über die Angst vor dem Unbekannten, die Stadtszenen sind schön inklusiv gestaltet (da z.B. auch ein Passant im Rollstuhl zu sehen ist). Schade, dass im Buch die Verantwortung für eine positive Begegnung allein auf den abgewälzt wird, der „anders“ ist. |
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„Planet Willi“ von Birte Müller, 4-6 Jahre, Beltz & Gelberg Geschichte einer Familie über ihr Kind mit Down Syndrom. Die Metapher des „Außerirdischen“ ist ein wenig schade, auch Kinder mit Down Syndrom gehören zur Welt. Willi wird aber nicht als „falsch“ dargestellt, sondern es werden auch immer mal andere aufgefordert, das Leben mehr wie Willi anzugehen. |
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Bücher zum Selbstlesen |
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"Der Weihnachtosaurus“ und „Der Weihnachtosaurus und die Winterhexe“ von Tom Fletcher übersetzt von Franziska Gehm, 5-9 Jahre (evtl. eher etwas älter), cbt Verlag Eine wunderschön illustrierte, witzige Weihnachtsgeschichte über einen Jungen, der sich einen Dinosaurier zu Weihnachten wünscht und vom Weihnachtsmann aus Versehen einen lebenden Dino bekommt. Er sitzt im Rollstuhl, aber das ist keine große Sache, er wünscht sich nicht gesund zu sein, sondern ein schönes Weihnachtsfest für seinen Vater und sich. |
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„Mission Hollercamp“ von Lena Hach, ab 10 Jahren, mixtvision Verlag Buchreihe mit schön modernen, diversen Figuren (ein Junge mit Hörgeräten, Kinder mit Migrationshintergrund, verschiedene Lebensweisen etc.) in einer spannenden Geschichte verpackt, in der gemeinsam Abenteuer auf einem Campingplatz erlebt werden. https://www.readpack.de/2021/03/endlich-urlaub-im-hollercamp.html/ |
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"Ich, Tessa und das Erbsengeheimnis“, 10-12 Jahre, mixtvision Verlag Geschichte über ein Mädchen mit einer psychischen Krankheit (Zwangsstörung). Es werden Empathie und Hilfe schön thematisiert. Interessant ist der Kontrast wie die Kinder untereinander mit der Situation umgehen, welche Wege sie finden und wie der Fokus der Erwachsenen auf der Lösung der Krankheit liegt. |
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Bücher für jugendliche Leser*innen |
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„Vielleicht passiert ein Wunder“ (Originaltitel: „A quiet kind of thunder“) von Sara Barnard, übersetzt Ilse Layer, ab 12 Jahren, Fischer Sauerländer Schöne Liebesgeschichte über einen gehörlosen Jungen und Mädchen mit Mutismus, die sich ineinander verlieben. https://www.readpack.de/2021/09/vielleicht-passiert-ein-wunder.html/ |
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„EINS“ von Sarah Crossan, übersetzt Cordula Stetsman, ab 14 Jahre, mixtvision Verlag Sprachlich sehr spannender Roman über verbundene Zwillinge (sog. „siamesische Zwillinge“). Sie sollen als Jugendliche aus medizinischen Gründen getrennt werden, wollen sich aber nicht voneinander lösen, nicht „normaler“ werden. Ein bisschen zu viel Drama am Ende (dazu neigen Geschichten über Menschen mit Behinderungen leider) aber der Gedanke ist spannend: Was ist, wenn der Verlust der Behinderung die Katastrophe ist? |
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„Immer kommt mir das Leben dazwischen“ von Kathrin Schrocke, ab 12 Jahren, mixtvision Schönes Beispiel für interessante Nebenfiguren mit Behinderungen, in einer witzigen, jugendlichen Geschichte. Leider sprachlich nicht so inklusiv. |
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"Nenn mich einfach Superheld“ von Alina Bronsky, ab 14 Jahren, Kiepenheuer & Witsch Geschichte über einen Jungen, der sich nach der Beißattacke eines Hundes mit Verletzungen im Gesicht zurückzieht. In einer Selbsthilfegruppe behinderter Jugendlicher findet er Anschluss, schwärmt dort auch für ein Mädchen im Rollstuhl. Problematisch ist, dass Behinderte sehr „unter sich“ dargestellt werden und es sprachlich z.T. hart an die Grenze geht. |
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Bücher über Vielfast allgemein |
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"Rebel Artists“ von Kari Herbert, übersetzt Frank Sievers, ab 10 Jahre, C.H. Beck Stellt 15 besondere Künstlerinnen weltweit vor, verschiedene Ethnien und Lebensgeschichten werden gezeigt, darunter auch Frida Kahlo, dargestellt in ihrem Rollstuhl. |
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„Wie siehst du denn aus?“ von Sonja Eismann und Amelie Persson, 10 – 12 Jahre, eher jünger, Beltz & Gelberg Das Buch stellt Körper mit verschiedenen Hautfarben und Körperformen dar. Im Text geht es leider nicht auf Behinderungen ein, aber sie werden in den Illustrationen mit dargestellt, z.B. Narben, eine deformierte Hand, etc. |
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Ausblick / für Erwachsene |
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„Entstellt“ von Amanda Leduc, übersetzt Josefine Haubold In „Entstellt“ wird erklärt, welche Narrative immer wieder auftauchen, wenn über Behinderung gesprochen wird. Auch gut gemeint ist oft nicht gut gemacht, es hilft uns Probleme zu verstehen. https://www.readpack.de/2021/08/von-den-gebruedern-grimm-ueber-disney-zu... |
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"Disability Visibility“ von Alice Wong, Vintage Publishing Essays behinderter Autor*innen über ihr Leben mit verschiedensten Behinderungen. Sichtbar machen von Erfahrungen, die sonst ungezeigt bleiben. Erscheint Oktober 2021 bei Delacorte Press auch in einer für Jugendliche aufbereiteten Version im englischen. |
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„The chance to fly“ von Ali Stroker, 8-12 Jahre, Amulet Books Ali Stroker ist eine US-amerikanische Schauspielerin und sitzt selbst im Rollstuhl. Ihr Jugendbuch stellt die Themen, die ihr am Herzen liegen sehr authentisch und spannend dar: es handelt von einem Mädchen im Rollstuhl, das gern in einem Musical auftreten will |