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Zum Fall machen, zum Fall werden

Wissensproduktion und Patientenerfahrung in Medizin und Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts

Erschienen am 14.04.2009, 1. Auflage 2009
29,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593388649
Sprache: Deutsch
Umfang: 280 S., 21 Fotos
Format (T/L/B): 1.8 x 21.2 x 13.9 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Fallgeschichten sind en vogue. In diesem Band geht es um dreierlei: erstens um Fallakten und Fallgeschichten als historische Quellen sowie um den Stellenwert von Fallstudien in der Geschichtswissenschaft. Zweitens um die Rolle von 'Fällen' für die Medizin und Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts. Und drittens um die Erfahrungen von Menschen, die zu einem 'Fall' werden. Der Band versammelt neue Forschungsergebnisse zur Psychia- trie- und Medizingeschichte und leistet damit einen Beitrag zur aktuellen Debatte über fallbezogene Untersuchungen in der Geschichtswissenschaft.

Leseprobe

Fälle in der Geschichte von Medizin, Psychiatrie und Psychologie im 19. und 20. Jahrhundert Sibylle Brändli, Barbara Lüthi, Gregor Spuhler Die Grenzen und Möglichkeiten der Arbeit am "Fall" bilden einen hotspot der Diskussion in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Neu entfacht ist die Debatte um die Repräsentativität von Fallstudien, um Generalisierungen aufgrund von Fallgeschichten und um die Zuverlässigkeit von Fallakten. In verschiedenen Fächern ist gegenwärtig wieder ein reges historisches und empirisches Interesse an "Fällen" vorzufinden - sei es in einer Abgrenzungsbewegung seitens der Verfechter einer quantifizierenden Wissenschaft, die viele qualitative Methoden unter dem Vorwurf des Eklektizismus ablehnt, sei es aufgrund einer heuristischen Faszination etwa für die Details von Fallmaterialien seitens der interpretativen Wissenschaften. In der Geschichtsschreibung ist vor allem in den letzten zwei Dekaden ein wachsendes Interesse an Fallmaterial zu konstatieren, und dies insbesondere in der Medizin- und Psychiatriegeschichte. Bei der historischen Herausbildung eines institutionalisierten Macht-Wissens-Komplexes wie der Medizin und der Psychiatrie spielen Fälle eine zentrale Rolle. Unter diesen Vorzeichen fand das zweitägige internationale Kolloquium "Arbeit am Fall: Historische Annäherungen an ein flüchtiges Konstrukt" am 13./14. Januar 2006 in Basel statt, aus dem die Beiträge des vorliegenden Sammelbands hervorgegangen sind. Das Kolloquium führte Historiker und Historikerinnen zusammen, die in ihren medizin- und psychiatriegeschichtlichen Forschungen mit fallbezogenen Akten und Ansätzen arbeiten, um die Produktivität dieser (durchaus unterschiedlichen) Zugangsweisen zu vergleichen und zu diskutieren. Ziel war es nicht zuletzt, den Begriff des "Falls" zu problematisieren, aber auch zu klären. Ärztinnen, Psychiater und Psychologinnen arbeiten mit Fällen, und Fallgeschichten haben für diese Berufsgruppen einen wichtigen Stellenwert. Nicht selten spiegeln sich in diesen Geschichten der seelisch und körperlich kranke Mensch oder die Krankheit selbst als "schwieriger" Fall. In diesem Begriff des "schwierigen Falls" verdichten sich unsere Interessen an Fallakten, Fallgeschichten und Fallstudien sowohl in Bezug auf die Praxis von Historikerinnen und Historikern als auch in Bezug auf die Praxis und Erfahrung von Menschen in gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen der Vergangenheit. Der Buchtitel "Zum Fall machen, zum Fall werden" verdeutlicht einerseits die Komplexität des Unternehmens, einen Umgang mit Fällen in der Geschichtswissenschaft zu finden, andererseits aber auch die Prozesshaftigkeit der Vorgänge, mit denen wir es zu tun haben. Was macht einen Fall aus? Was vermögen uns personenbezogene Akten sowie historische Fallkonstruktionen und -geschichten aus dem 19. und 20. Jahrhundert, wie sie in diesem Sammelband analysiert und kritisch beleuchtet werden, über vergangene Erfahrungen, Institutionen und Praktiken sagen? Zu welchem Sinn und Zweck nutzen Historiker und Historikerinnen Fälle? Und: Welche erkenntnistheoretischen Möglichkeiten eröffnen Fälle und Fallstudien den Geschichtswissenschaften? Der Sammelband verbindet ein Interesse an einer spezifischen Erkenntnisweise geschichtswissenschaftlicher Arbeit am Fall mit einem Interesse an der Genealogie des Falls, an der Produktivität von Fällen für medizinische und psychiatrische Institutionen und Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts und an der Erfahrung und Dynamik, die damit verbunden waren, zu einem Fall zu werden. Dieser doppelte Blick trägt dazu bei, das terminologische und methodologische Bewusstsein für die heutige und vergangene Arbeit am Fall zu schärfen. Die "Fälle" der Medizin- und Psychiatriegeschichte Die Erweiterung der Sozial- zu einer Kulturgeschichte in den 1990er Jahren hat die Medizin und Psychiatrie verstärkt zum Gegenstand kulturwissenschaftlicher Reflexion gemacht. Medizin und Psychiatrie bieten sich als besonders lohnen

Inhalt

Inhalt "Fälle" in der Geschichte von Medizin, Psychiatrie und Psychologie im 19. und 20. Jahrhundert Sibylle Brändli, Barbara Lüthi, Gregor Spuhler I. Fallformen Vom Verschwinden der Laienperspektive aus der Krankengeschichte: Medizinische Fallberichte im 19. Jahrhundert Karen Nolte "Eintragen und Ausfüllen": Der Fall des psychiatrischen Formulars Brigitta Bernet Narrative Heterogenität und dominante Darstellungsweise: Zur Produktion von Fallnarrativen in der deutschsprachigen Sexualmedizin und Psychoanalyse, 1890 bis 1930 Christa Putz II. Transformationen "Anti-Vernunft" und "geistige Gesundheit": Eine Fallgeschichte über Norm, Normalität und Selbstnormalisierung im deutschen Kaiserreich Cornelia Brink "Eine Blüte baslerischer Irrenpflege...": Der Fall Emil Mertz und die Konstruktion bürgerlicher Identität Regina Wecker Unfälle, Vorfälle, Fälle: Eine Archäologie des polizeilichen Blicks Stefan Nellen, Robert Suter Der Blick, die Normalisierung, der Fall: Medizin und Immigration in den USA (1880-1920) Barbara Lüthi III. Institutionelle Dynamik Fallkonstituierungen: Die "unruhige Frauenabteilung" der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich Ende 1950 Marietta Meier Vom "rätselhaften Fall" zur "typischen Hebephrenie": Der jüdische Emigrant Rolf Merzbacher in Behandlung bei Schweizer Psychiatern 1942-1944 Gregor Spuhler Die Auflösung des Falls: Psychosoziale Versorgung für Schulkinder und Fallvergegenwärtigung in den 1970er Jahren Sibylle Brändli Autorinnen und Autoren 278