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Erzählungen und Gegenerzählungen

Terror und Krieg im Kino des 21. Jahrhunderts, Normative Orders 16

Erschienen am 15.04.2016, 1. Auflage 2016
34,95 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593505664
Sprache: Deutsch
Umfang: 304 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 21.4 x 14.1 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Die Anschläge vom 11. September 2001 und die sich anschließenden militärischen und paramilitärischen Konflikte sind im Kino von Anfang an mit einem intensiven Widerspiel von Erzählungen und Gegenerzählungen beantwortet worden. Diesen vielstimmigen audiovisuellen Dialog nimmt der Band zum Anlass, die Rolle des Films in den kontroversen moralischen, rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart zu untersuchen. Mit Beiträgen von Thomas Elsaesser, Astrid Erll, Daniel Martin Feige, Josef Früchtl, Klaus Günther, Vinzenz Hediger, Anja Peltzer, Jochen Schuff, Martin Seel, Christiane Voss und Hans Jürgen Wulff.

Autorenportrait

Martin Seel ist Professor am Institut für Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt. Jochen Schuff ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Leseprobe

Vorwort Erzählungen sind keine Einzelgänger. Auch wenn nur eine Geschichte erzählt wird, sei es mündlich, sei es schriftlich, sei es in unbewegten oder in bewegten Bildern, sei es auf den Bühnen des Theaters, der Oper oder des Tanzes: Sie antwortet immer bereits auf andere Erzählungen und andere Arten des Erzählens. Sie nimmt deren Faden auf, wiederholt deren Muster oder variiert sie, spinnt sie fort oder schmückt sie aus, polt sie um oder parodiert sie. Allein deshalb stehen Erzählungen nie allein. In ihrer jeweiligen Form verhalten sie sich auch dann zu den Verfahren und Formen anderweitigen Erzählens, wenn sie mit den zu einer Zeit etablierten Konventionen einer oder mehrerer seiner Gattungen brechen. Das ist einer der Gründe dafür, warum zumal künstlerische Erzählungen nur selten mit einer Stimme sprechen; in ihnen hallen die Stimmen anderer Narrationen wider, in ihrer Sicht auf die erzählten Begebenheiten bleiben andere Sichtweisen auf das vergegenwärtigte Geschehen spürbar. Dies ist in besonderem Maß der Fall, wenn eine Vielzahl verschiedenartiger Erzählungen einem Stoff, einer dramatischen Situation, einem historischen oder politischen Großereignis und seinen Folgen gewidmet ist. Dann bildet sich ein Geflecht von Erzählungen und Gegenerzählungen, das so dicht ausfallen kann, dass oft nicht mehr klar ist, welches Erzählen auf welche Weise auf welche anderen Geschichten über die Art von Begebenheiten reagiert. Dann tragen Erzählungen und Gegenerzählungen miteinander eine Kontroverse über die Signatur und Reichweite des fraglichen Geschehens sowie über die angemessenen Reaktionen auf es aus: womit sich die Adressaten aufgefordert sehen, ihrerseits Teil dieses narrativ ausgetragenen Deutungsgeschehens zu werden. Eine Situation dieser Art ist in jüngerer Zeit durch die ebenso rasche wie heftige Reaktion des filmischen Erzählens auf die Anschläge am 11. September 2001 und ihre bis heute andauernden Folgen entstanden. Seither sind Hunderte von Filmen unterschiedlicher Herkunft, Gattung, Machart und Ausrichtung produziert worden, die sich je auf ihre Weise mit den fraglichen Ereignissen befassen. Diesen in ästhetischer und politischer Hinsicht heterogenen Antworten des Kinos und anderer filmischer Formate auf die durch 9/11 ausgelösten militärischen und paramilitärischen Konflikte sind die Beiträge dieses Buches gewidmet. Aus verschiedenen thematischen und disziplinären Perspektiven wird untersucht, wie sich das Spektrum filmischer Erzählungen und Gegenerzählungen zu den moralischen, rechtlichen und politischen Kontroversen der Gegenwart verhält. Die Verhältnisse sind nicht nur deswegen komplex, weil sich Erzählungen immer auch zu ihren faktischen und möglichen Gegenerzählungen in Stellung bringen und auf vielfältige Weise mit ihnen interagieren. Sie treffen auch, wie das im Fall von 9/11 und den Reaktionen darauf überdeutlich wird, auf die Verarbeitung historischer Ereignisse in politischen, militärischen, juristischen, moralischen oder ideologischen Diskursen, die sich ihrerseits zu "Rechtfertigungsnarrativen" mit handlungsleitendem Einfluss formieren. Eine Untersuchung der Art und Weise, in der einzelne Erzählungen, in unserem Fall die filmischen Auseinandersetzungen mit den Ereignissen in der Folge der Anschläge in New York und Washington, sich auf begründende Erzählmuster beziehen, wirft zunächst die generelle Frage nach dem Modus des Erzählens und seiner Beziehungen zu Praktiken der Rechtfertigung auf. Diesen Beziehungen gehen die Herausgeber in ihrer ausführlichen Einleitung nach, in der Absicht, einen theoretischen Rahmen für die Deutung der Präsentationen von Terror und Krieg im Kino bereitzustellen. Mit Blick auf die beiden einflussreichen und kontroversen Spielfilme der Regisseurin Kathryn Bigelow, The Hurt Locker und Zero Dark Thirty, eröffnen die Beiträge von Jochen Schuff und Thomas Elsaesser die Detailanalysen des Bandes. Schuff operiert an The Hurt Locker drei Themenfelder heraus, die dort sehr point