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Die globale Finanzklasse

Business, Karriere, Kultur in Frankfurt und Sydney

Erschienen am 10.07.2018, 1. Auflage 2018
34,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593509006
Sprache: Deutsch
Umfang: 250 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 23 x 15.3 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Exklusivität durch Offenheit Auf den internationalen Finanzmärkten hat sich eine neue globale Klasse gebildet. Dieses Buch zeigt am Beispiel der Finanzzentren Frankfurt am Main und Sydney, wie in der Finanzklasse gemeinsame Formen ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals entstehen. Typisch für den Habitus dieser Finanzklasse ist neben den üblichen Statussymbolen ein demonstrativer Gestus von kultureller Offenheit, Diversität, Weltläufigkeit und Toleranz, in dem sich eine kosmopolitische Selbstdarstellung mit ökonomischen Interessen verbindet. Ein neuer Modus sozialer Grenzziehung wird sichtbar, der paradox erscheint: Exklusivität durch Einschluss, Abschottung durch Öffnung.

Autorenportrait

Sighard Neckel ist Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel an der Universität Hamburg. Lukas Hofstätter, Soziologe, hat in Frankfurt am Main und Sydney zur globalen Klassenbildung promoviert. Marco Hohmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Soziologie der Universität Hamburg.

Leseprobe

1 Einleitung: Soziale Prozesse in der globalen Finanzindustrie Seit der Finanzkrise 2008 ist die Welt des Börsenhandels und des Investmentbankings, der Aktienwerte, Hedgefonds und Großbanken in den Mittelpunkt öffentlicher Debatten und politischer Kontroversen gerückt. Die Aufmerksamkeit, die der bisweilen opaken Finanzwelt mitsamt ihres Sonderwissens und ihrer Statussymbole seither zuteilwird, erscheint nicht verwunderlich, wenn man die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen bedenkt, die sich mit den Finanzmärkten heute verbinden. Als Wirtschaftssektor betrachtet, sind die Finanzmärkte zu einem globalen Leitmarkt aufgestiegen, der die höchsten Renditen erbringt und den Branchen aus der Realwirtschaft die Kennziffern und Konjunkturen vorgibt. Obgleich die Dominanz des Finanzsektors 2008 eine "systemische Desintegration der Wirtschaft" (vgl. Mayntz 2014: 4) ausgelöst hat, ist nicht zu erwarten, dass der weiteren "Finanzialisierung" (Krippner 2005) der Ökonomie künftig Grenzen gesetzt werden. Auch weiterhin werden die Finanzmärkte eine Schlüsselrolle bei der Globalisierung der Wirtschaft spielen. Freie Kapitalströme sind eine Voraussetzung des weltweiten Finanzgeschäfts, weshalb Aktienhandel, Investmentbanken und Kapitalanleger stets schon Fürsprecher der Globalisierung waren. Auch stellen sich die Finanzmärkte aufgrund ihrer Operationsweise heute per se als globale Märkte dar. Um Risiken zu verringern und Profite zu maximieren, diversifizieren Anleger in der Regel ihr Portfolio, werden Investitionen auf möglichst unterschiedliche Märkte verteilt. Dies erzeugt unzählige Verbindungen zwischen Märkten überall auf der Welt und zieht eine globale Orientierung des Finanzsektors im Ganzen nach sich (vgl. Shiller 2003; Windolf 2008). Gesellschaftlich haben die Finanzmärkte eine massive Vertiefung sozialer Ungleichheit in praktisch allen OECD-Ländern hervorgebracht. Die hohen Profite im Finanzgeschäft ließen eine Klasse von Superreichen entstehen. Zudem bildete sich aus der international vernetzten Schar der Banker, Finanzmakler, Broker und Fondsmanager die neue Sozialkategorie der "working rich" (Sayer 2017: 253), die zu den Hauptgewinnern des Aufstiegs des Finanzwesens zählt. Zum Verlierer des Finanzhandels sind hingegen die öffentlichen Kassen geworden. Die Regierungen der Europäischen Union mussten 1,6 Billionen Euro einsetzen, um 2008 das Finanzsystem zu stabilisieren. Deutsche Steuerzahler haben, wie die Bundesbank 2015 verlautbaren ließ, 236 Milliarden Euro für die Bankenrettung aufbringen müssen. Die Schuldenkrise, aus dem Crash von 2008 und der Euro-Rettung hervorgegangen, ließ überall in der Welt die Staaten in Abhängigkeit von den Kreditbedingungen der Finanzmärkte geraten, was eine neue Form der Verbindung von ökonomischer und politischer Macht in den Händen der Finanzbranche zum Vorschein brachte (vgl. Vogl 2015). Ursächlich mit der Finanzökonomie verbunden ist die Durchsetzung des Shareholder Value als Leitlinie der Unternehmenskontrolle, seit die Bereitstellung von Risikokapital immer stärker über die Finanzmärkte erfolgt. Dies hatte zahlreiche sozialpolitische Folgen. Der Anleger-Kapitalismus der Finanzmärkte ließ wenig übrig von der Zähmung des Profitstrebens durch eine koordinierte Marktwirtschaft, die auf der Kompromissbildung zwischen Kapital und Arbeit beruht. Ihr Pendant fand die Entfesselung der Finanzmärkte denn auch in der Deregulation des Arbeitsmarktes und einem Umbau des Sozialsystems. Die finanzdominierte Ökonomie verlor dadurch die Fähigkeit, soziale Belastungen, die aus der "Ungleichheit der Märkte" (Neckel 2015) resultieren, durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen abmildern zu können. In der Folge ging mit dem Anwachsen des Wohlstands bei den Spitzeneinkommen eine Prekarisierung der Lebenslagen von Bevölkerungsgruppen bis hinein in die Mittelschichten einher. Dass zugleich der Finanzelite, seit der Occupy Wall Street-Bewegung 2011/12 als "das Eine Prozent" bezeichnet, zum öffentlichen Vorwurf gemacht werden konnte, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern, ließ das bereits angeschlagene Ansehen der Banker nicht gerade steigen. Aufgrund der hohen Gehälter in der Finanzbranche, der speziellen Vergütungen wie Aktienoptionen, des Systems der Bonuszahlungen bei weitgehender Ausschaltung persönlicher Verlustrisiken und der großzügigen Abfindungen erschien das Finanzwesen als eine einzige Brutstätte ungezügelter Gier. Mit den Finanzmärkten verband sich nunmehr auch ein Gerechtigkeitsproblem, wurde hier doch an der offiziellen Geltung eines Leistungsprinzips gerüttelt, das die Finanzindustrie faktisch längst zugunsten einer Geschäftskultur des reinen finanziellen Erfolgs aufgekündigt hatte (vgl. Neckel 2008; Honegger et al. 2010). Nicht weniger Beachtung fand, dass mit dem Aufstieg des Finanzsektors auch eine neue wirtschaftliche Akteursgruppe in Erscheinung trat, die "Dienstklasse des Finanzmarktkapitalismus" (Windolf 2008), die seit den 1980er Jahren begann, die Geschäftszentren der Weltstädte zu bevölkern. Finanzvermögen zu sammeln, um dafür Wertpapiere zu kaufen oder zu verkaufen, um Fonds zu gründen und zu verwalten, um anlagesuchendes Kapital für spekulative Finanzprodukte zu interessieren, wurde zum Metier einer neuen Berufsgruppe von Finanzintermediären, die bald eine Vielzahl von Analysten, Finanzingenieuren, IT-Experten, Change Managern, Anwaltssozietäten und Unternehmensberatern um sich versammeln sollten. Im Kern dieser neuen Gruppe von Professionals stehen diejenigen, deren berufliche Tätigkeit direkt auf die Finanzmärkte ausgerichtet ist und die, in welcher Form und Höhe auch immer, ihre Einkünfte aus den Renditen der Finanzmärkte beziehen. Ihr wirtschaftlicher Einfluss wurde ebenso zu einem Thema kritischer Erörterungen wie ihr gesellschaftlicher Status und ihre Berufsmoral. Wichtige Beweggründe hierfür waren von vorneherein der globale Bezugsrahmen der Financial Professionals und die transnationale Reichweite ihrer ökonomischen Aktivitäten. Beides sorgte für unterschiedliche Charakterisierungen und Zuschreibungen. Aus der Perspektive einer Theorie sozialer Differenzierung ist die Herausbildung einer globalen Berufsgruppe wie der Financial Professionals Ausdruck einer spezialisierten Wissensökonomie, die sich auch in anderen Gesellschaftsbereichen, die funktional hochgradig ausdifferenziert sind, als globale Gruppenbildung darstellt - in der Wissenschaft ebenso wie im Spitzensport und überall dort, wo der Horizont weltweiter Vergleiche und Dependenzen das Denken und Handeln bestimmt (vgl. Heintz/Werron 2011). Dass die Formen der beruflichen Gruppenbildungen dabei nationale Grenzen überschreiten und in internationale Austauschprozesse und Karrieremuster eingebunden sind, wird umso wahrscheinlicher, je höher fachliche Spezialisten in der Hierarchie wissensbasierter Funktionssysteme angesiedelt sind (vgl. Schwinn 2008). Diese funktionale Bestimmung wird nicht selten mit der Vermutung verbunden, dass der Ausblick auf weltweite Zusammenhänge und der Ausgriff auf globale Märkte, Netzwerke und Informationen eine günstige Voraussetzung auch dafür ist, ein breites Spektrum kultureller Strömungen und Tendenzen gleichermaßen in sich aufnehmen zu können, da globale Experten an keine Besonderheit einer bestimmten Kultur oder einer bestimmten Gesellschaft mehr gebunden seien. Aus konfliktsoziologischer Sichtweise und aus der Analyse sozialer Ungleichheit heraus stellt sich derselbe Prozess als "Abspaltung einer transnationalen Elite" (Münch 2009: 22) und als "Untreue und Indifferenz gegenüber Ort und Raum" (Müller 2002: 354) dar. Die Globalisierung rückt danach zwar "die Nationen näher zusammen, während sie gleichzeitig überall die Kluft zwischen den Klassen, materiell wie psychologisch, vertieft" (Rosanvallon 2013: 354). Im oberen Bereich der sozialen Rangordnung macht sich der "Vormarsch der Separatismen" (ebd.: 352) als Aufstieg einer neuen Klasse geltend, die für sich die Chancen der Globalisierung zu nutzen ver...

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