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Gestohlene Luft

Gedichte, Reihe Lyrik 73

Erschienen am 25.10.2020
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783948336080
Sprache: Deutsch
Umfang: 72 S.
Format (T/L/B): 1 x 24.7 x 17.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Bunt ist das Laub. Bunt, die Kleidung. Die Tiere bunt, die Menschen von Kopf bis Fuß. Bunt, die Gedichte, die guten wie die schlechten. Die Seen, die Himmel, die kreisenden Planeten, die Gottheiten und die Computer. Erinnerung strömt durch Gelenke, sammelt sich in Faszien, wird Information, Narrativ, Krankheit - wird übertragen. Mein neues Gedicht weist entsprechend der faszialen Dynamik 3 verschieden geartete Faszienschichten auf. 1. Oberflächliche Faszien - deren hohe Elastizität (variable dynamische Sprache - transzendentes Schreiben) das Ansammeln sprachlicher Findungen fördert (entsprechend des Ansammelns von Körperfett in Verbindung mit pränataler Gewichtszunahme). 2. Viszerale Faszien - weniger dehnbar, verbinden die Organe und halten sie zusammen, halten ihre Spannung konstant, sodass die Organe eine Eigenmobilität im Körper behalten, ohne den Ort zu verlassen und ihre Funktion einzubüßen (gnadenloses Einlassen auf die innere Spannung, innere Breite & Enge, ohne Pose zu beziehen, Hereinlassen des Pferdchens ins Haus). 3. Tiefe Faszien - ausgestattet mit zahlreichen hochsensiblen Rezeptoren für Schmerzempfinden, Bewegungsänderungen, Druck & Schwingungen, Änderungen des chemischen Milieus und Temperaturschwankungen (Erkunden & Einarbeiten der immanenten Erinnerungen, Glückserfahrungen, Traumata - Übertragen der Krankheit, sich aussetzen, Gedächtnis). Yevgeniy Breyger

Autorenportrait

Yevgeniy Breyger, geboren 1989, studierte an der Universität Hildesheim, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und an der Hochschule für Bildende Künste, Städelschule, Frankfurt am Main. Breygers Debütband "flüchtige monde" erschien 2016 bei kookbooks und wurde unter die besten Debüts des Jahres im Haus für Poesie und unter die Gedichtbände des Jahres im Literaturhaus Berlin ausgewählt. 2018 erhielt er den 2. Preis beim Lyrikpreis München, 2019 gewann er den Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt. 2019 erhielt er zudem ein Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds und 2020 Aufenthaltsstipendien im Stuttgarter Schriftstellerhaus sowie im Herrenhaus Edenkoben. Breyger lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied des Dichter*innenkollektivs Salon Fluchtentier.

Leseprobe

Königreich des Regens In der Nacht, als das Dorf sich bewaffnet, erfährt sie ihre Bestimmung, die großen Felsen zu beschießen. Am Flusslauf warten sie wie Augen. Entschieden, ruhig kriecht Stein über Stein - Von ihr weg? Wieder eine falsche Richtung, gröber als Sand, Pulver, das ihr nicht gehorcht. Diese trockene Ader, kann ich sie fassen? Felder - Felder. Wälder - Getier. Im Denken verschwimmt eine Erinnerung. Sie läuft in den Wind. Durch die innere Welt, entschlossen zum Fels, hört Schüsse. Geschichte schießt auf Geschichte, Hunde erschießen sich, Dorf schießt auf Stadt, Tiere schießen Pflanzen auf Mineralien. Flinten gleiten durch Hände. Substanzen beschießen ein weiches Gemisch aus Gummi und Erde - Vogelschwärme existieren als solche Geschosse, denkt sie, und verschwinden zwischen Himmel, zwischen Boden, in einer Brust. Weder Ankommen noch Verschwinden ist möglich, wenn du so stark liebst. Tritt hinaus, selbst der Fels hat gelernt zu verzeihen. Tritt über zu den Menschen, ihre Körper halten sich am Leben, indem sie wie Knospen aufgehen, wenn es warm wird. Jahrlang Frühling, wohin soll ich gehn? Aufgeben sei dir Gewinn. Vergiss, was du tust, folge einem Gesang. Offen spricht dein Seelentier, menschlich seine Augenzahl. Mitten durch die Zellmembran, küsst sich ein geheimer Wind, trittst du in mein Leben ein. Wer mir dein Geheimnis nennt, wird mit Liebe ausradiert. Sieben freie Jahre lang, dumme kurze Tage lang achtsam sein als Todesgott.